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Rede Frank Biermann #FreeDeniz-Fahrradkorso

Eingestellt am 12.03.2017


Rede Dr. Frank Biermann, Sektionschef der dju in ver.di Münsterland auf dem #FreeDeniz Fahrradkorso am 10. März 2017 in Münster
 
Seit Dienstag, 14. Februar ist Deniz Yücel, der Türkeikorrespondent der Welt und langjähriger Kollege bei der taz, in Polizeigewahrsam. 
Seit 26 Tagen also, das sind 26 Tage zu viel. Und jeder weiterer Tag, den er in dem Hochsicherheitsgefängnis sitzt ist ein weiterer Tag zu viel.
Die Vorwürfe gegen den deutsch-türkischen Kollegen sind abstrus. Ihm wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Gemeinschaft vorgeworfen, Datenmissbrauch und Terrorpropaganda.
Die wahren Gründe sind natürlich andere.
Er hatte es wiederholt gewagt auf Pressekonferenzen offen die Missstände in der Türkei anzusprechen. 
So hatte er  nach der Lage der syrischen Flüchtlinge in der Türkei gefragt.
Das passte einem Gouverneur nicht.
Er berichtete aus den Rückzugsgebieten der kurdischen Arbeiterpartei PKK. 
Auch damit machte er sich unbeliebt bei der Regierung.
Auf einer Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem damaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davatoglu hatte sich der unerschrockene Deniz getraut, Angela Merkel auf die Vorwürfe der türkischen Opposition anzusprechen, die da lauteten, sie würde für den Flüchtlingsdeal mit Rezep Erdogan die Missachtung der Menschenrechte in Kauf nehmen. 
Und er nahm auch kein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, darauf hinzuweisen, dass die Türkei in der internationalen Rangliste der Pressefreiheit nur auf Platz 159 von 180 möglichen Plätzen steht, noch hinter China. Und er hatte auch keine Scheu, an den damals noch im Knast sitzenden Cumhüriyet Kollegen Cem Dündar zu erinnern, der inzwischen ja Deutschland lebt und arbeitet.. 
Daraufhin machten ihn die regierungsnahen Medien mit ihren staatstreuen Journalisten zum Staatsfeind. Er verließ zur Sicherheit für zwei Monate das Land. 
Als er sich traute wieder in die Türkei zurückzukehren, wurde ein Anlaß für seine Festnahme gesucht und gefunden. 
Er verfasste einen Artikel über eine linke türkische Hackergruppe RedHack, die die Mails des türkischen Energieministers gehackt hatte. Er hat, wie es seine Aufgabe ist, über einen Hackerangriff auf den türkischen Energieminister Albayrak recherchiert und berichtet, durch den Informationen über die Kontrolle türkischer Medienkonzerne und die Beeinflussung der Öffentlichkeit über fingierte twitter-accounts allgemein öffentlich zugänglich gemacht wurden. Das ist kein Verbrechen, sondern seine Arbeit.
Im Zusammenhang mit der so genannten E-Mail-Affäre um den türkischen Energieminister, der zugleich auch Schwiegersohn des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist, wurden seit Ende Dezember noch sechs weitere Journalisten türkischer Medien festgenommen. Drei von ihnen befinden sich wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft bei jeweils einer anderen Terrororganisation in Untersuchungshaft. Im Fall einer Verurteilung drohen ihnen bis zu zehn Jahre Haft.
 
Wir haben als Journalisten-Gewerkschaft begründete Zweifel daran, dass Yücel dort ein  nach unseren Maßstäben rechtsstaatliches Verfahren bekommt, auch wenn er einen Anwalt hat und gelegentlich Besuch empfangen darf. 
Sein Fall ist zum Politikum geworden, in einer Zeit, in der sich das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei fast täglich rapide verschlechtert und der Tonfall zunehmend unerträglich wird. 
Die Prominenz seines Falles bringt ihm einen gewissen Schutz, sie kann Dinge aber auch komplizierter machen. 
Nach geltendem türkischen Recht kann man ihn wohl noch Jahre in einem türkischen Gefängnis schmoren lassen, ohne dass jemals Anklage erhoben oder ein Urteil gesprochen wurde, ohne dass er einen fairen Prozess bekommen hätte.
Es geht ihm natürlich nicht gut in der Einzelhaft.
"Das Alleinsein ist eine Art Folter" schreibt er aus dem Knast an seine Kollegen von der Welt. Immerhin, er wird gut behandelt, schreibt er. Bis auf den Transport musste er nie Handschellen tragen. Er wurde auch nicht beleidigend angesprochen, schreibt er.
Aber auch dies:" Die Zelle ist nur vier mal vier Meter groß. Durch das Fenster sehe ich nur eine Mauer. Der Himmel sehe ich nur durch den Stacheldraht auf der Mauer."
Bis jetzt hat er sich seinen Optimismus bewahren können.
"Weder meine eigene Situation noch die meines Landes, das ich trotz allem Liebe, wird so bleiben wie sie ist". 
Hoffentlich behält er recht mit dieser Einschätzung. 
Die Zeitung Die Welt hat sinnigerweise neben den Text von Deniz Yücel eine Anzeige mit einem Supermann, einem Energie-Sparhelden platziert.
Deniz Yücel ist zwar ein mutiger und couragierter Journalist, aber ein Supermann ist er nicht, er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, der die Folgen der Haft spüren wird. 
Es ist gut wenn wir uns hier und heute mit Deniz solidarisieren und seine Freilassung fordern. Und die Freilassung der anderen 153 Journalisten, die in der Türkei in Haft sitzen. Free them all!!!
Aber wie viel besser wäre es noch. wenn die Menschen in der Türkei selbst vor dem Gefängnis Silviri demonstrieren könnten, wenn machtvolle Demonstrationen für die Pressefreiheit in Ankara oder Istanbul auf dem Tksimplatz, von mir aus auch in Antalya und Alanya stattfinden würden. Aber - um es mit Brecht zu sagen - die Verhältnisse, sie sind dort nicht so. Und das ist traurig genug. 
Wir fordern, das sich die Bundesregierung nachdrücklicher als das bislang geschehen ist, für die Freilassung von Deniz Yücel einsetzt. Den Verantwortlichen in der Türkei muss bewusst werden, dass Presse- und Meinungsfreiheit in einem Rechtstaat unverhandelbar sind“.
Bleiben wir trotz allem optimistisch
 

 

 

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