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Wie ist es um den Journalismus bestellt? Tom Schimmeck diskutiert mit Studenten

Eingestellt am 10.11.2010


Sie sollen kritisch sein und informieren; sie sollen intensiv recherchieren, nachhaken, den Mächtigen auf die Finger schauen. So in etwa stellt man sich das vor, wenn von den Journalistinnen und Journalisten als unabhängige "vierte Macht" im Staat die Rede ist. Die Bestandsaufnahme, die Tom Schimmeck in seinem Buch „Am besten nichts Neues“ präsentiert, lässt allerdings Zweifel aufkommen, dass die Medienrealität noch viel mit diesem Ideal zu tun hat. Eine wachsende PR-Community, Rendite jagende Verlage und eine journalistische Herdentrieb-Mentalität werden dabei als Teile jenes Übels beschrieben, das für immer mehr "Politainment" und Trash auf dem Papier und in den Kanälen sorgt, für mehr mediale Kollektivkampagnen und weniger Qualitätsjournalismus.

Auf Einladung der dju-Hochschulgruppe besuchte der taz-Mitbegründer und ehemalige Spiegel-Redakteur Anfang November die Uni Münster, um aus seinem Buch zu lesen und von Erfahrungen aus mehr als 30 Jahren Journalistendasein zu berichten. Zu dem Vortrag im Fürstenberghaus kamen über 70 interessierte Studierende verschiedener Fachrichtungen und diskutierten mit Schimmeck über seine Thesen.

Eine dieser Thesen lautete, dass die Medien zunehmend von professionellen „Meinungsmachern“ genutzt werden, die Events inszenieren und Themen lancieren, um zahlenden Auftraggebern eine möglichst günstige mediale Präsenz zu verschaffen. So berichtete Schimmeck von einem besonders hart gesottenen „Spin-Doktor“, den er während einer Recherche zu dem Thema in Washington interviewt hatte. Doch auch fernab der US-Medienlandschaft, in Berlin-Mitte, könne man das Anwachsen der Meinungsindustrie beobachten. Als Journalist, so Schimmeck, fühle man sich bei so manch einer glamourösen Medien-Gala in der Hauptstadt schon mal als „armer Verwandter“ der zahlreichen PR-Akteure.

Doch nicht nur der professionelle PR-Apparat stelle eine Herausforderung für den unabhängigen Journalismus dar. Einige Verlage sägten selbst überaus erfolgreich an der Qualität ihrer journalistischen Produkte. Als Paradebeispiel nannte Schimmeck hier den Bauer-Verlag. Ständig überlege die Konzernspitze, „wie man mit noch weniger Computern, Scheren und Stiften noch mehr Zeitschriften schreiben, fotografieren, layouten, drucken, binden, transportieren und verkaufen kann“. Dass am Ende immer mehr bunte, von politischer Relevanz entleerte Blättchen den Weg in die Verkaufsregale finden und in den Redaktionen Arbeitsplätze zusammengestrichen werden, interessiere die Verlagsmanager weniger als das Halten von Marktanteilen.

Rücksichtslose Unternehmerlogik gegen journalistische Qualität – so manch ein im Hörsaal anwesender Münsteraner mag sich da auch an Lensing-Wolffs Streichkonzert bei der Münsterschen Zeitung im Jahr 2007 erinnert gefühlt haben.

Die Bilanz von Schimmecks Vortrag: Um den Qualitätsjournalismus ist es in der großen weiten Medienwelt ziemlich schlecht bestellt. Die Frage, die sich dabei aufdrängt, brachte in der anschließenden Diskussion ein Biologie-Student auf den Punkt: Was muss denn passieren, dass es besser wird? „Ehrlich gesagt, das ist die Frage, die ich am meisten gefürchtet habe“, gab Schimmeck zu. Ein Patentrezept hat auch er nicht. Es gebe aber einige Hoffnungsschimmer. Noch immer ließen sich in den Medien qualitativ hochwertige Angebote finden; vor allem das Internet biete auch Raum für Nischenprojekte.

Genossenschaftsmodelle wie bei der taz zeigten, dass die ökonomische Organisation von Medien auch anders denkbar ist als nach dem Bauer-Modell. Und dann seien da natürlich noch die Journalistinnen und Journalisten, die zumindest ihr Möglichstes tun könnten, in einem zunehmend personalisierten und von Politainment durchdrungenen Medienbetrieb „Haltung“ zu bewahren, den Berliner „Bussibussi“-Betrieb nicht mitzumachen.

Wenn Tom Schimmeck den Münsteraner Studierenden auch keinen rettenden Ausweg aus der Medienmisere präsentieren konnte, zeigten doch viele Nachfragen und Meinungsäußerungen aus dem Publikum, dass seine Analyse zum Nachdenken und zu kritischen Perspektiven angeregt hat. Neben einigen Hinweisen auf positive Beispiele hat dann vielleicht auch Schimmecks – bei allem Ernst in der Sache – humorvoller und bisweilen satirischer Schreib- und Erzählstil ein bisschen dafür sorgen können, dass am Ende nicht allzu pessimistische Gemüter den Hörsaal verließen.

Manon Westphal

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